Interview von Francine Closener im Forum

"Die Armee - ein interessantes Unternehmen!"

Interview: Forum

Forum: Die luxemburgische Regierung hat eine neue Verteidigungsstrategie vorgestellt. Welches sind die Hauptneuerungen? 

Francine Closener : Die wichtigste Neuerung ist sicherlich der Umstand, dass wir überhaupt diese "Lignes directrices" ausgearbeitet haben, denn ein derartiges politisches Dokument hat es bisher nicht gegeben. Es war eine komplexe Arbeit, bei der alle Beteiligten mit eingebunden waren. Was jedoch nicht neu ist, ist der Haupteinsatzbereich unserer Armee: Der Hauptakzent liegt weiterhin in Aufklärung und Überwachung, wo wir uns auch mithilfe neuer Technologien weiterentwickeln wollen. Ein Bereich, der hinzukommt, ist die militärische Lufteinheit, die sich bislang auf den berühmten A400M beschränkt hat. Im neuen Gesetz ist ausdrücklich der Aufbau einer Lufteinheit vorgesehen, so dass wir den Kauf von Hubschraubern vornehmen können. Diese Hubschrauber werden einem Dual-Use Konzept unterstehen, was in der Praxis bedeutet, dass man die Hubschrauber für militärische Zwecke nutzt, aber auch z.Bsp. bei medizinischen Notfällen einsetzt oder für humanitäre Missionen. Auch Synergien mit der Polizei liegen auf der Hand. Auf dem Findel soll eine ganze Infrastruktur aufgebaut werden, wo die Hubschrauber auch gemeinsam gewartet werden können.
Natürlich sind wir auch stark im Bereich der Satellitenkommunikation engagiert, und die Cyber-Verteidigung ist eine Domäne, die wir stärker ausbauen wollen. 
Ein weiterer Bereich ist die Militärmedizin, wo die NATO einen großen Bedarf angemeldet hat und von dem die Luxemburger Bevölkerung ebenfalls profitieren könnte. Auch dort steht das Dual-Use Konzept im Vordergrund: Wir investieren in Infrastrukturen, die sowohl für die NATO, die EU aber auch für Luxemburg und seine Bevölkerung nützlich sind. Das sind im Grunde die großen Entwicklungen, die wir anstreben. Sie stehen im Zusammenhang mit dem internationalen Kontext und den neuen Sicherheitsanforderungen, vor deren Hintergrund wir unsere Verteidigung in den nächsten 5-10 Jahren ausrichten wollen. 

Forum: In der Einleitung zum Dokument "Lignes directrices de la défense luxembourgeoise à l'horizon 2025" ist vermerkt, dass hier zum ersten Mal die luxemburgische Verteidigungspolitik in einem Strategiedokument dargestellt wird. Gab es bislang keinen Bedarf die Grundprinzipien der Verteidigungspolitik schriftlich festzulegen? 

Francine Closener : Das müssen Sie eigentlich meine Vorgänger fragen. Ich denke, dass diese Arbeit sinnvoll war und dass die Armee froh darüber ist, ein Dokument zu haben, das angibt, in welche Richtung es geht. Der Punkt stand auch im Regierungsprogramm. 

Forum: Welche Aufgaben hat die Armee bei der Wahrung der inneren Sicherheit? 

Francine Closener : Die Armee hat eine ganze Reihe von Missionen, etwa im Rahmen einer Terrorattacke. Die Aufgaben und Missionen sind in diesem Fall im Plan Vigilnat klar definiert. Die Armee wird ab dem Niveau 3 mobilisiert, also wenn eine Attacke imminent ist, dann hilft die Armee der Polizei sogenannte sensible Infrastrukturen zu schützen. Die Armee ist auch sonst bereit, in brenzligen Situationen einzuschreiten. Etwa im letzten Jahr, als im Ernztal die Überschwemmungen stattfanden, oder auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als die Armee logistische Hilfe leistete. Die Armee ist schnell einsatzbereit, um in Notsituationen dem Land beizustehen. 

Forum: Ein Argument für den Kauf von Hubschraubern bzw. für den Aufbau einer Luxemburger Lufteinheit ist der Schutz der Schiffe, die unter Luxemburger Flagge auf den Weltmeeren fahren. Wie soll dieser Schutz konkret stattfinden? 

Francine Closener : Das Programm entsteht in Zusammenarbeit mit Belgien, wir stehen jedoch mit unseren Partnern noch in Verhandlungen, es ist also nichts definitiv. Zwei der geplanten Hubschrauber sollen in Luxemburg stationiert sein, der dritte in Belgien. Dieser Hubschrauber soll auch für maritime Einsätze ausgestattet sein, um entlang der belgischen Küste eingesetzt zu werden. Das ist aber nur ein Bruchteil des Einsatzspektrums. Uns ging es hauptsächlich um den Bereich der medizinischen Evakuierung, der Luxemburg zugute kommen kann und auch auf der Ebene der Allianz gebraucht wird. 

Forum: Das angestrebte Ziel, das auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 bestimmt wurde, ist die Erhöhung der nationalen Verteidigungsetats der NATO-Mitglieder auf 2 % ihres BIP. Welche Etappenziele hat sich Luxemburg gesetzt?

Francine Closener : Es ist ganz klar, dass wir nicht direkt auf die 2 % kommen, das wäre völlig unrealistisch und diese Regierung strebt das sicherlich auch nicht an. Entscheidend im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel in Wales ist jedoch der Punkt, dass die Verringerung der Verteidigungsausgaben der NATO-Länder, die immer weniger in ihre Verteidigung investiert haben, gestoppt wurde. Durch diesen Negativtrend wurde die EU immer abhängiger von anderen Partnern. Auf dem NATO-Gipfel wurde dann das Ziel von 2 % gesetzt, doch es gibt dafür keinen genauen Zeitplan, auch wenn das immer so dargestellt wird. 
Die Luxemburger Regierung hat sich verpflichtet, bis 2020 das Verteidigungsbudget von 0,4 % auf 0,6 % des BIP zu erhöhen. 
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch nach 2020 und unter einer neuen Regierung dieser Ausbau langsam weitergeführt wird, so dass wir irgendwann auf 1 % kommen. Ich denke, dass dies ein realistisches Ziel ist. Die 2 %, das wären 1,3 Milliarden Euro, hat niemand hier als Ziel vor Augen. 
Ein Hauptproblem bei diesem erzwungenen Geldsegen wird sein, Ausgabenposten im militärischen Bereich zu finden, die irgendwie auch für das Land sinnvoll sind, und gleichzeitig nach NATO-Standards als Verteidigungsausgaben angerechnet werden. 

Forum: Können Sie unseren Lesern diese Problematik erläutern? 

Francine Closener : Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Militärmedizin. Wir wollen dort drei Bereiche entwickeln. Einerseits möchten wir Mannschaften, also Ärzte und Krankenschwestern, im Bereich Traumatologie ausbilden. Diese sollten auch auf NATO-Missionen vorbereitet sein. Wenn sie aber nicht auf Mission sind, arbeiten sie in einem Luxemburger Krankenhaus. Das Gleiche wollen wir im Bereich der Infektionskrankheiten in die Wege leiten. Dann haben wir noch vor, ein nationales Krisenzentrum in einem unserer Krankenhäuser einzurichten, wo dann auch zusätzliche Betten für verletzte Soldaten zur Verfügung stehen. In einem Notfall können diese aber auch für die Luxemburger Bevölkerung bereitstehen. 
Auf diese Weise gehen wir jetzt immer systematisch vor: Wir schauen, wie wir unseren internationalen Verpflichtungen gerecht werden können - was braucht die NATO, was braucht die EU, was ist der Zusatzwert, den wir liefern können? Und andererseits wollen wir nicht einfach Geld auf den Tisch legen für Programme, zu denen Luxemburg eigentlich keine Verbindung hat und auch nicht davon profitieren kann. Wir sind natürlich auch in Programme eingebunden, bei denen Luxemburg nicht direkt einen Nutzen davonträgt. Aber oft ist es doch möglich. 
Daneben versuchen wir Verbindungen zu den Kompetenzen unserer Wirtschaft herzustellen. Verschiedene Unternehmen sind zum Beispiel bereits Lieferanten für Airbus. Diese Verbindungen sind sinnvoll und werden systematisch gesucht, seit das Wirtschaftsministerium und das Verteidigungsministerium in der gleichen Hand liegen. 

Forum: Und diese Vorhaben werden von der NATO dann auch als nützliche Ausgaben anerkannt? 

Francine Closener : Ja, das wird von der NATO genau geprüft. Die Allianz hat einen Bedarfskatalog, wo die bestehenden Lücken aufgeführt sind, und wir schauen, was wir am besten können und wo unsere Kompetenzen liegen. Gerade mit dem Projekt der Militärmedizin ist dies sehr aufwendig für uns. Wir müssen jede Ausgabe genau überprüfen, ob sie anerkannt wird und ob die NATO einen Bedarf angemeldet hat. Die Disponibilität muss ebenfalls garantiert sein. Ein anderes gutes Beispiel ist die Modernisierung des Herrenbergs. 
Seit 2009 wurden hier 85 Millionen € investiert, respektive werden noch in die Modernisierung der Infrastrukturen investiert. Diese Ausgaben werden klar von der NATO anerkannt. Auch die Erneuerung der Landepisten auf Findel kommt uns allen zugute, wird aber gleichzeitig als NATO-Beitrag angesehen. Es gibt also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die wir ausschöpfen. Man muss aber hinzufügen, dass das lange Zeit vernachlässigt wurde. 

Forum: Wird sich Luxemburg auch, wie bei den AWACS geschehen, an Investitionen in militärische Güter beteiligen, jedoch das Personal und das Handling anderen NATO-Mitgliedern überlassen? 

Francine Closener : Ja, das wird auch bei verschiedenen Projekten weiterhin noch der Fall sein. 
Unser Ziel ist aber ganz klar, eigene Kompetenzen aufzubauen. Dass wir selbst unsere Leute ausbilden und die Hand darauf halten, ist ganz wichtig. Zusammen mit den Investitionen entstehen ja auch neue Karrieren. In diesem Zusammenhang finde ich es notwendig, dass nicht nur Leute mit einem Master-Abschluss, sondern auch jene, die mit einer 8e oder 9e auf den Herrenberg kommen, von den neuen Ausbildungen profitieren. 

Forum: Der Armee fehlt es an Personal. Welche Anstrengungen werden gemacht, um Frauen zu rekrutieren? 

Francine Closener : Es werden keine speziellen Anstrengungen unternommen, um Frauen anzuwerben. Die Aufnahmeprüfungen sind für alle gleich. Zurzeit haben wir einen Frauenanteil von etwa 10 %, acht weibliche Offiziere, darunter eine Psychologin und die Verantwortliche für die Cyber-Verteidigung. Die Armee ist kein typisches Umfeld, für das sich Frauen interessieren. 
Aber die Frauen, mit denen ich bis jetzt gesprochen habe, haben mir alle bestätigt, dass sie ganz zufrieden mit ihrer Stelle sind.
Natürlich wäre ich froh, wenn sich mehr Frauen für die Berufe in der Armee interessieren würden, und ich hätte es gerne, wenn wir in Sachen Chancengleichheit, Familie und Beruf ein paar Maßnahmen ergreifen, die die Situation verbessern. Ob irgendwann einmal ein Kindergarten auf dem Herrenberg eingerichtet wird, kann ich nicht sagen, aber es wäre wichtig, wenn auch Männer sich um ihre Kinder kümmern können und nicht nur Frauen. 

Forum: Welche Anreize bietet die Armee Akademikern? Warum sollen sie zur Armee gehen und nicht auf dem Kirchberg arbeiten? 

Francine Closener : Es ist schwer, diese Frage heute zu beantworten, da ich nicht weiß, wie die Armee in zehn Jahren dasteht. Ich glaube aber, dass dies ein interessantes Berufsumfeld wird, man hat ja verschiedenste Möglichkeiten innerhalb der Armee. Man kann heute beispielsweise im Bereich der Cyber-Verteidigung arbeiten und morgen bei der Satellitenkommunikation. 
Die Armee wird sicher ein interessantes Unternehmen! 

Forum: Welche Rolle soll das Beratungsunternehmen PWC bei der Rekrutierung spielen? Und welche anderen Missionen hat PWC bei der Reorganisation der Luxemburger Armee? 

Francine Closener : PWC ist ein externer Berater, der geholfen hat, das Organigramm aufzustellen. Wir haben dieses Organigramm gebraucht, um bessere Synergien zwischen der Direction de la défense und dem Etatmajor zu schaffen. Es ging uns darum, Doppelarbeit zu vermeiden und die ganze Verwaltung effizienter zu gestalten. Daneben hat PWC bei der Ausarbeitung der Rekrutierungsstrategie geholfen. 

Forum: Wie sinnvoll ist es und welche Bedenken gab es, ein international so gut vernetztes Unternehmen wie PWC an diesem sensiblen Dossier zu beteiligen? 

Francine Closener : Die jeweiligen PWC-Mitarbeiter, die an dem Organigramm arbeiten, haben eine Clearance und unterschreiben eine Clause de confidentialité. Sie dürfen nichts sagen, niemandem, auch nicht im eigenen Betrieb. Es gibt ganz genaue Prozeduren, die bestimmen, wie die Arbeit funktioniert, wenn man mit ausländischen Beratern zusammenarbeitet. Und, auf Dokumente, die die militärische Planung betreffen, haben sie sowieso keinen Zugriff. 

Forum: Die massive Aufstockung der Militärausgaben in allen NATO-Mitgliedsländern wird von vielen Beobachtern als gigantische Umlenkung volkswirtschaftlichen Reichtums angesehen. Hauptnutznießer sei die amerikanische, deutsche und französische Verteidigungsindustrie. Macht Ihnen das keine Sorgen? 

Francine Closener : Die Verteidigungsindustrie bereitet einem immer Sorgen... Luxemburg genießt einen gewissen Wohlstand und eine hohe Sicherheit - auch dadurch, dass wir NATO-Mitglied sind. Wir haben aber auch Pflichten, man kann nicht immer nur profitieren. Es ist normal, dass wir als eines der reichsten Länder der Welt jetzt auch gefragt werden, uns finanziell stärker zu beteiligen. Trotzdem bleiben wir mit unseren Ausgaben, auch relativ gesehen, noch immer Schlusslicht in der NATO. 
Hinzu kommt, dass wir in Zeiten leben, in denen die Europäische Union sich eine eigene Verteidigungsstrategie geben muss. 
Vor kurzem kam ja auch der Vorschlag der Europäischen Kommission, einen Verteidigungsfonds ins Leben zu rufen, um u.a. gemeinsame Projekte in der Forschung finanziell zu begleiten. 

Forum: Momentan ist es ja eher so, dass im militärischen Bereich zwischenstaatliche Lösungen dominieren. Möchte Luxemburg eher diesen Ansatz beibehalten oder ist man an einer integrierten europäischen Armee interessiert? 

Francine Closener : Persönlich glaube ich nicht, dass es einmal eine gemeinsame europäische Armee geben wird. Es ist aber wichtig, dass die verschiedenen Armeen miteinander funktionieren können. Das bezieht sich auch auf das Material, mit dem man arbeitet, und hier eine Interoperabilität zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel der europäischen Strategie. 

Forum: Das Gesetz zur Organisation der Armee stammt von 1952. Welches sind die Anpassungen, die gemacht werden müssen, um den angestrebten Entwicklungen einen gesetzlichen Rahmen zu geben? 

Francine Closener : Beim neuen Militärgesetz, das Ende des Jahres im Parlament eingebracht wird, geht es hauptsächlich darum, den Text an die neuen Gegebenheiten und an den Beamtenstatus anzupassen. Das OMP-Gesetz (Opérations pour le maintien de la paix /Friedensmissionen) ist auch auf der Zielgeraden, wo wir Missionen, wie jener in Litauen, Rechnung tragen müssen. In Litauen geht es ja nicht nur um reine Friedensbewahrung, diese Missionen haben eine etwas andere Natur, und wir müssen ihnen mit den neuen Gesetzen Rechnung tragen. Wenn alles gut geht, werden alle Texte gegen Ende des Jahres dem Parlament vorgelegt.  

Forum: Sie haben angekündigt, dass über einen Reservisten-Verband nachgedacht wird. Gibt es dazu konkrete Pläne oder Beispiele, an denen sich Luxemburg orientiert? 

Francine Closener : Es gibt unterschiedliche Konzepte. 
Aber sicherlich geht es nicht darum, eine Reservistenarmee aufzustellen, sondern eher darum, über Leute zu verfügen, die mit der Armee vertraut sind, und die eine gewisse Ausbildung haben, so dass man in Notsituationen auf sie zurückgreifen kann. 

Forum: Wenn Luxemburgs Armee weiter ausgebaut werden soll, wäre es dann nicht sinnvoll, ein eigenständiges Verteidigungsministerium einzurichten? Die Verteidigung untersteht in Luxemburg ja dem Außenministerium. 

Francine Closener : Ich denke nicht. Es ist natürlich immer eine Sache der jeweiligen Regierung, dies zu entscheiden. Das derzeitige Modell funktioniert aber gut, weil Luxemburg sich an der Politik der 3D (Diplomatie, Développement und Défense) orientiert. 
Zwangsläufig hat das Verteidigungsministerium dadurch immer mit der Außen-und Kooperationspolitik zu tun. Unsere Verteidigungspolitik soll nicht eine rein militärische Konnotation haben, sie geht viel weiter als der rein militärische Aspekt. 
Deshalb ist es sinnvoll, wenn die Verteidigung mit dem Außenministerium verbunden ist, bei der auch die Kooperation angesiedelt ist. Für die Bürger ist diese Struktur manchmal schwer nachzuvollziehen, weil wir einen Verteidigungsminister haben, die Direktion aber im Außenministerium angesiedelt ist. Im Alltag ist das aber kein Problem. 

Forum: Besten Dank für das Gespräch! 

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