Interview mit Yuriko Backes im Télécran

"Die Demokratie steht auf dem Spiel"

Interview: Télécran (Sarah München)

Télécran: Frau Ministerin, das Amt der Verteidigungsministerin bei der aktuellen Weltlage zu übernehmen, ist nicht die einfachste Aufgabe. Wie lange haben Sie überlegt, bis sie zugesagt haben?
Yuriko Backes: Ich musste nicht lange überlegen. Ganz im Gegenteil. Für mich ist Verteidigung ein sehr wichtiges Ressort — gerade in Zeiten wie diesen. Natürlich ist es kompliziert, insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine. Dementsprechend werde ich dieses Amt mit vollem Engagement und voller Energie wahrnehmen.
Télécran: Hatten Sie vor Ihrem Amtsantritt bisher Berührungspunkte mit der Armee?
Yuriko Backes: Als Diplomatin hat man immer etwas mit Verteidigung zu tun, als Hofmarschallin auch. Als Vertreterin der Europäischen Kommission in Luxemburg habe ich beispielsweise auch viel am European Defence Fund gearbeitet. Aber auch schon zuvor — ach, das ist 20 Jahre her — habe ich mich mit Verteidigung auseinandergesetzt. Damals gab es noch die Westeuropäische Union, ein kollektiver militärischer Beistandspakt aus den 50er-Jahren. Heute ist diese ein Teil der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. 1999 hatte Luxemburg die Präsidentschaft der Westeuropäischen Union und da war ich als junge Diplomatin beteiligt.
Télécran: Sie sind die erste Frau in diesem Amt. Das kennen Sie ja schon von früheren Ämtern. Spielt das eine Rolle?
Yuriko Backes: Ich glaube, wir haben das Ziel erreicht, wenn es keine Rolle mehr spielt, ob ein Mann oder eine Frau diese Aufgabe übernimmt. Aber wie Sie schon sagen, ich bin das ein bisschen gewohnt. Als Vertreterin von der Europäischen Kommission, als Hofmarschallin und als Finanzministerin war ich die erste Frau. Mit der Verteidigung habe ich nun ein Ressort übernommen, das historisch gesehen auch fast ausschließlich eine Männerdomäne war. Wenn, dann sehe ich es eher als Vorteil, weil es auch andere Frauen inspiriert, sich für Verteidigung und die Armee zu interessieren.
Télécran: Nur zwölf Prozent der Soldaten sind Frauen. Was wollen Sie tun, um mehr Frauen für die Armee zu begeistern?
Yuriko Backes: Verteidigung darf keine Männerdomäne sein. Hier müssen wir mit den Stereotypen der Vergangenheit brechen. Wenn wir Frauen für die Armee begeistern wollen, dürfen wir nicht nur die männliche Terminologie nutzen und von Soldaten sprechen. Ein höherer Frauenanteil beim Personal ist für mich auch ein Schlüsselfaktor für den Erfolg einer modernen Armee. Wir werden bald mit einer Rekrutierungskampagne beginnen. Die Armee sucht motivierte Frauen und Männer in quasi allen Bildungsgraden und seit Kurzem können wir auch neue Karrieren anbieten.
Télécran: Was wäre das zum Beispiel?
Yuriko Backes: Letztes Jahr wurden neue Karrieren mit Bachelor-Diplom und Sekundarschulabschlüssen eingeführt. Die traditionellen Profile der Armee bleiben wichtig, aber das Berufsbild des Militärs hat sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt. Wir brauchen auch andere Profile, wie beispielsweise Flugzeugpiloten, Experten im Bereich Cyber und Satelliten, sowie in Zukunft auch in der Militärmedizin.
Télécran: In anderen europäischen Ländern melden sich seit dem Ukraine-Krieg immer weniger Menschen für den Militärdienst. Wie schätzen Sie die Situation in Luxemburg ein?
Yuriko Backes: Wir haben keine Statistiken, sodass es für mich schwierig ist, hierzu etwas zu sagen. Aber Verteidigung und Militärdienst sind eine Berufung und müssen als nobles Engagement anerkannt werden. Wir sollten nicht erwarten, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich berufen fühlt, eine Waffe in die Hand zu nehmen, um das Land zu verteidigen. Genau darum haben wir eine Armee, professionelles Personal, das dafür ausgebildet ist. Wichtig ist, dass wir die Bedeutung und den Stellenwert des Militärischen für unsere Gesellschaft stärker hervorheben. Wir haben einen Paradigmenwechsel seit dem Ukraine-Krieg. Wir leben heute in einer anderen Welt und alles, was wir als selbstverständlich betrachtet haben, ist nicht mehr so. Die Gefahr eines Konfliktes ist sehr real. Es darf keinen Zweifel geben, dass wir bereit sind, unsere Werte und unser Territorium zu verteidigen. Zusammen mit unseren Alliierten und Partnern.
Télécran: Sollte die Ukraine verlieren: Wie groß schätzen Sie die Gefahr durch Putin für Europa ein?
Yuriko Backes: Die Ukraine darf nicht verlieren. Wenn Russland sieht, dass wir schwach und nicht gut aufgestellt sind, schätze ich die Gefahr relativ groß ein. Und auf dem Spiel stehen die Freiheit, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
Télécran: Wie und in welcher Form wird Luxemburg zukünftig die Ukraine unterstützen?
Yuriko Backes: 2022 und 2023 haben wir 16 Prozent unseres Militärbudgets der Ukraine zur Verfügung gestellt. Das ist viel. Wir haben Waffen, Munition, letales und nicht-letales Material geliefert, immer in Abstimmung mit den Ukrainern. Wir müssen das mit der EU und der Nato gemeinsam machen. Auch internationale Unterstützungskoalitionen spielen eine bedeutende Rolle. Luxemburg und Estland leiten eine IT-Koalition, die die Ukraine dabei unterstützt, eine sichere IT-Infrastruktur für militärische Zwecke aufzubauen. Im Rahmen der sogenannten F-16-Koalition unterstützen wir finanziell die Ausbildung von ukrainischen Piloten an F-16-Kampfjets.
Télécran: Was bedeutet es für die Sicherheitslage in Europa und der Welt, wenn Donald Trump als US-Präsident gewählt werden sollte?
Yuriko Backes: Wir kennen Donald Trumps politischen Stil. Aber auch wenn er die Nato öfters kritisiert hat, hat er Amerika nicht aus der Nato rausgezogen. Gegen die vielen Gefahren, die wir heute sehen - militärisch, im Bereich Cyber, ökonomisch - kann man sich schwierig alleine wehren. Deswegen glaube ich, dass auch die USA Alliierte braucht und dass wir, egal wer an der Spitze von Amerika steht, eng zusammenarbeiten müssen. Wir leben in einer globalisierten Welt, was auch viel Positives mit sich bringt. Aber die EU muss, was die Verteidigung betrifft, unabhängiger werden. Nicht aber um der Nato Konkurrenz zu machen. Ganz im Gegenteil. Eine stärkere EU bedeutet auch eine stärkere Nato.
Télécran: Sie haben bereits Kollegen aus dem Ausland getroffen. Wie ist da der Austausch?
Yuriko Backes: Der Austausch ist exzellent. In Berlin habe ich Verteidigungsminister Boris Pistorius kennengelernt. Das war auf Einladung von Christian Lindner, da habe ich eine bedeutende Auszeichnung von der deutschen Regierung bekommen, was mich sehr geehrt hat (Anm. d. Red.: Sie wurde ausgezeichnet mit dem großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland). Dann habe ich noch den rumänischen Verteidigungsminister getroffen, als ich vor Kurzem alle Luxemburger Truppen dort besucht habe. Ich hatte noch kein Meeting mit den Nato-Verteidigungsministern, das ist Mitte Februar in Brüssel. Am 23. Januar hat sich die sogenannte Ramstein-Gruppe virtuell getroffen, wo rund 50 Staaten ihre Unterstützungsleistungen für die Ukraine organisieren. Und Ende Januar findet ein informelles Treffen der EU-Verteidigungsminister ebenfalls in Brüssel statt.
Télécran: Am 16. Januar waren Sie zu Besuch in Belgien. Was haben Sie bezüglich des geplanten binationalen Bataillons besprochen?
Yuriko Backes: Für Luxemburg und seine Armee hat das Projekt des gemeinsamen Bataillons eine absolute politische Priorität im militärischen Bereich. Ich habe die Wichtigkeit dieses Projektes für unsere Armee hervorgehoben. Luxemburg und Belgien haben sich beide im Rahmen der Nato dazu engagiert, dass dieses Bataillon bis zum Jahr 2030 einsatzbereit ist. 750 Frauen und Männer, jeweils zur Hälfte aus Luxemburg und Belgien, werden hier Seite an Seite zusammen trainieren und arbeiten. Der Hauptstützpunkt des Bataillons wird in Arlon sein, also direkt an der Grenze. Ein bedeutender Teil wird aber auch weiterhin in Luxemburg, insbesondere in der Kaserne auf dem Härebierg in Diekirch untergebracht sein. Unsere beiden Länder pflegen eine ausgezeichnete Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Seit 2021 ist beispielsweise die belgisch-luxemburgische A4OOM-Transportflugzeug-Einheit im Einsatz. Bei der Umsetzung unseres künftigen belgisch-luxemburgischen Aufklärungsbataillons können wir auf diese wertvollen Erfahrungen zurückgreifen.
Télécran: Für wie realistisch halten Sie eine gemeinsame europäische Armee in der Zukunft?
Yuriko Backes: Dieses binationale Bataillon ist eine kleine Form dessen, wie eine solche Armee aussehen könnte. Aber ohne den entsprechenden politischen Willen ist das kompliziert, glaube ich. Eine gemeinsame europäische Armee aufzustellen, bedeutet nämlich auch, nationale Souveränität an die EU abzugeben. Abgesehen von dem politischen Willen ist die sogenannte Interoperabilität zwischen den europäischen Armeen ein Schlüsselfaktor, also die Fähigkeit von Streitkräften zur multinationalen Zusammenarbeit. Da gibt es viele Unterschiede: von Sprache, zu Terminologie, Militärdoktrin, bis zu den Strukturen sowie die materielle und technische Interoperabilität. Luxemburg unterstützt verschiedene Initiativen der Europäischen Kommission, um einerseits die gemeinsamen Einkäufe von Rüstungsgütern zu fördern und andererseits die Industrie langfristig zu stärken. Und ich begrüße die Vorhaben der großen EU-Mitgliedsstaaten, gemeinsam beispielsweise Kampfflugzeuge und Panzer zu entwickeln. Aber um auf Ihre initiale Frage zurückzukommen: Ich glaube, solange die EU-Außen- und Verteidigungspolitik nicht an einem Strang zieht, ist es schwierig und eher unrealistisch, dass wir kurzfristig eine europäische Armee zusammenstellen können. Aber wir sollten als Europäische Union darauf hinarbeiten.
Télécran: Mit knapp 1000 Soldaten - welche Rolle kann Luxemburg im Rahmen der europäischen Sicherheitspolitik spielen?
Yuriko Backes: Wir haben eine von den kleineren Armeen. Aber wir sind Gründungsmitglied von allen Institutionen - ob das die EU oder die Nato ist. Wir müssen zusammen solidarisch sein und jedes Land muss zu dieser kollektiven Verteidigung beitragen. Wir als Luxemburg können nicht nur Nutznießer dieser Verteidigung sein, wir haben auch eine Verantwortung. Luxemburg beteiligt sich an internationalen militärischen Missionen, wie in Rumänien und Litauen. Die Beteiligung der Luxemburger Armee an solchen Auslandseinsätzen ist - proportionell gesehen - meist höher als die vieler anderer Länder.
Télécran: Ihr Vorgänger François Bausch hat in seiner letzten Rede gesagt, die Armee hätte nun die Basis, sich zu modernisieren. Was genau soll modernisiert werden?
Yuriko Backes: Mein Vorgänger hat viel auf den Weg gebracht. Die Kaserne in Diekirch, der Schießstand und das Munitionsdepot werden modernisiert. Die beiden letzteren Investitionen habe ich vergangene Woche im Parlament präsentiert. Wir müssen auch die Ausrüstung der Armee erneuern. Im Kontext unseres binationalen Bataillons ist es auch wichtig, dass wir uns mit neuen, schweren Fahrzeugen vom Typ Jaguar und Griffon aufstellen. Auch was Cyberangriffe betrifft, müssen wir uns besser aufstellen.
Télécran: 61 Rekruten sind kürzlich neu vereidigt worden. Ursprünglich hatten 90 die Ausbildung begonnen, 29 haben vorzeitig abgebrochen. Das spricht nicht gerade für die Armee als attraktiven Arbeitgeber. Wie erklären Sie sich das?
Yuriko Backes: Ich glaube, es ist kein einfacher Job. Aber 61, das ist schon eine schöne Gruppe, die größte der letzten Jahre. Und ich möchte auch bemerken, dass die am besten klassierte Person eine Frau ist.
Télécran: Verteidigung, Mobilität und öffentliche Arbeiten sowie Gleichstellung der Geschlechter und Vielfalt. Wie kriegen Sie alle diese Ministerien unter einen Hut?
Yuriko Backes: Also François Bausch hat das auch unter einen Hut bekommen. Warum soll ich das nicht unter einen Hut bringen?
Télécran: Er hatte ein Ministerium weniger.
Yuriko Backes: Das stimmt. Nein, das ist schon viel und ich spiele das auch überhaupt nicht runter. Ich habe definitiv keine Tage von neun bis fünf und auch keine Fünf-Tage-Woche. Man muss sich gut organisieren können. Und auf sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgreifen können.
Télécran: Wäre es angesichts der momentanen Weltlage nicht sinnvoll, das Verteidigungsministerium als alleiniges Ministerium zu betreuen?
Yuriko Backes: Dass es kein alleinstehendes Ministerium ist, ändert nichts an der Wichtigkeit des Ressorts. Verteidigung ist eine absolut essenzielle Säule der Luxemburger Außenpolitik. Für uns bleibt es wichtig, dass wir eine sogenannte 3D-Politik machen. D steht dabei für Diplomatie, Development, also Entwicklungszusammenarbeit, und Defence, also Verteidigung. Bei Verteidigung kommt noch ein anderes D für Dissuasion hinzu, also Abschreckung.
Télécran: Sehen Sie auch Überschneidungen zwischen den Ressorts?
Yuriko Backes: Absolut. Chancengleichheit und Diversität spielen überall mit rein, das sehen wir bei der Verteidigung. Da müssen wir mehr Frauen rekrutieren. Auch der Transport- und Bausektor ist eine männliche Welt. Es fahren beispielsweise mehr Männer Fahrrad als Frauen. Frauen finden Radwege oft nicht sicher genug. Da müssen wir vielleicht verschiedene Infrastrukturen anpassen. Also ich sehe da viele Verflechtungen.
Télécran: Sie waren nur zwei Jahre Finanzministerin. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, dieses Ministerium abzugeben?
Yuriko Backes: Das war keine einfache und eine sehr intensive Zeit im Finanzministerium. Ich habe das Amt übernommen und sechs Wochen später ist der Krieg ausgebrochen. Mit all den Konsequenzen, die wir kennen, von sehr hoher Inflation, Energiepreisen, die durch die Decke gegangen sind, bis hin zu einem Wachstum, das überall auf der Welt zurückgegangen ist, und die Tripartite-Maßnahmen hierzulande. Aber ich habe das gerne gemacht. Es hat mir die Gelegenheit gegeben, einen Einblick in viele verschiedene Ressorts zu bekommen, weil alles mit Finanzen verbunden ist. Aber ich bin nicht traurig, dieses Ressort abzugeben, ich freue mich auf die neuen Aufgaben.
Télécran: War der jahrelange Sparkurs beim Militär ein Fehler?
Yuriko Backes: Heute könnte man das so sehen. Aber man konnte sich nicht vorstellen, dass es wieder Krieg in Europa geben würde. Wir stellen jetzt unser Programm auf, um weiter unsere Nato-Verpflichtungen zu erfüllen. Luxemburg soll mittelfristig zwei Prozent des Bruttonationaleinkommens in Verteidigung investieren. Bis 2028 wollen wir auf ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes kommen.
Télécran: Der wegen der hohen Kosten viel diskutierte Militärsatellit Luxseosys ist bereit. Wie geht es damit weiter?
Yuriko Backes: Der muss jetzt zügig auf Orbit gebracht werden, darüber habe ich das Parlament und die Regierung informiert. Mit der Vega-C-Rakete des europäischen Unternehmens Arianespace, mit der wir unseren Satelliten ursprünglich auf Orbit bringen wollten, gab es Probleme. Weil wir nicht weiter Zeit verlieren können und wollen, werden wir auf SpaceX umsteigen.
Télécran: Da müssen Sie mit jemandem wie Elon Musk zusammenarbeiten. Sehen Sie darin kein Problem?
Yuriko Backes: Auch die Europäische Kommission hat mit SpaceX gearbeitet, das ist nichts Ungewöhnliches.
Télécran: Sie haben schon oft betont, dass Sie ein Amt gerne für fünf Jahre ausführen würden. Wird das dieses Mal klappen?
Yuriko Backes: Ich hoffe es, denn das sind Ressorts, die ich sehr interessant finde, in die ich mich nun mit viel Engagement und Energie hineinarbeiten werde. Es braucht Zeit, alles richtig zu verstehen, um auch die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Das geht nicht in ein paar Monaten.
Télécran: Frau Ministerin, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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